Der anspruchsvolle Kunde erwartet von Premium- und Qualitätsherstellern eine stimmige Customer Journey, unabhängig davon in welchem Kanal er sich gerade befindet.
Dieses Praxisbeispiel einer solchen Kundenreise zeigt auf: Sowohl bei Herstellern als auch im Handel schlummert noch viel verstecktes Potenzial – und unbewusste Fallstricke erschweren potentiellen Kunden den Kauf. Erfahren Sie, wie Kundenzentrierung Hersteller und Kunden schneller und glücklicher zusammenbringen kann.
Die Customer Journey endet nicht mit der Kaufentscheidung: Nachbetreuung, Services oder Produktempfehlungen entscheiden darüber, ob aus einem Einmalkäufer ein Bestandskunde wird. Um hier das richtige Angebot zu entwickeln, müssen Sie die Bedürfnisse Ihrer Zielgruppe genau kennen.
Praxisbeispiel:
Unser Beispiel orientiert sich an dem Beratungsauftrag eines echten Kunden aus der Möbelbranche. Steigen wir also gleich ein und sehen uns an, was ein kaufwilliger Kunde erlebt, der (auch pandemiebedingt) seine Kundenreise online beginnt.
Unser frei erfundener Kunde (Buyer-Persona) ist Herr Hans Moser: Er möchte für seine neue Eigentumswohnung eine Garderobe erwerben. Hersteller wie Müller Möbelwerkstätten, Schönbuch, Hülsta oder USM Haller sind ihm ein Begriff.
1. Informations-Phase:
In der Informationsphase bedient sich Hans seines Mac Books und sucht nach Garderoben in einer bekannten Suchmaschine. Das Suchergebnis entspricht nicht seinen Vorstellungen, da die Ergebnisse von den großen Händlern wie Otto, IKEA und XXXLutz, etc. dominiert werden. Er möchte aber lieber erstmal entdecken, was die einzelnen Hersteller bieten und dann bestellen. Dabei ist er offen dafür, ob die Bestellung online oder beim Fachhändler erfolgt. Hans sucht nach den ihm bekannten Herstellern.
Diese findet er nur mit Mühe, da die großen Online-Händler von der Suchmaschine höher gerankt werden. Einen Fachhändler vor Ort findet Hans leider nur sporadisch und nicht bei jedem Hersteller in den Suchergebnissen. Leider erweist sich die Suche bei einigen seltener besuchten Fachhändler-Seiten als nicht zielführend, weil die Seiten in Sortimentstiefe und -breite nicht stimmig sind. Schliesslich besucht Hans die Hersteller-Seiten und informiert sich über das jeweilige Sortiment.
2. Interesse-Phase: Hersteller-Seiten
Hans hat auf seiner Kundenreise die erste Hürde gemeistert, möchte sich jetzt über die konkrete Garderobe für seine neue Wohnung informieren und ein Produkt aussuchen. Für seine Kundenreise benutzt er mal das iPhone, mal das Mac Book, da er hier geräteunabhängig seine Suche fortsetzen kann.
Wie geht Hans vor? Er sucht über die Startseite oder die Produktnavigation der Hersteller-Websites den Einstiegspunkt: Flur, Garderobe, wenn er hier nichts findet, sucht er nach nach Bänken oder Sideboards, Haken und Spiegeln. Die Ergebnisse sind dabei recht unterschiedlich, da die Hersteller-Websites oft aus Produktsicht der Produzenten, nicht aus Kundensicht aufgebaut sind.
Hans möchte sich über Bilder begeistern lassen und dann weitere Details zu den Produkten erfahren. Aus der Befragung unserer Persona und Gesprächen mit Händlern und Hersteller-Vertrieb wissen wir schon viel über die Wünsche von Hans Moser. Eine unvollständige Übersicht gängiger wichtiger Wünsche/Features auf der Kundenreise haben wir in der folgenden Tabelle zusammengestellt.
Diese Features/Kundenwünsche lassen sich der Umsetzung modular einführen und z.B. auch mittels Key Performance Indikatoren entlang der Kundenreise messen. So lassen sich diese kontinuierlich verbessern und es werden nur die beim Kunden erfolgreichen Features beibehalten. Es entsteht ein wertschöpfender stetiger Prozess.
Bei der Beratung zeigt sich, dass aktuell viele Hersteller-Websites schon oder noch mehr bieten, als die Seiten der Fachhändler. Wenn es unser Hans Moser also schon auf die Website der Hersteller geschafft hat, muss die Aufgabenstellung beim Hersteller lauten, seine Persona mit den richtigen Infos in die Seite zu ziehen und danach weiter mit den gewünschten Informationen zu versorgen.
Wenn der Kunde danach (von der Seite) abspringt, hat er zwar im Idealfall die für ihn wichtigen Infos erhalten, wird aktuell aber oft mit dem Kaufprozess alleine gelassen – sofern der Hersteller keinen eigenen Online-Shop hat oder direkt auf Fach-Handels-Partner verweisen kann.
3. Kauf-Phase: Online beim Fachhändler
Hans hat sich für ein Möbelsystem eines Herstellers B entschieden und würde es jetzt gerne kaufen. Da der Hersteller nicht über einen Online-Shop verfügt, sucht er über Händlerverzeichnis einige Händler in seiner Umgebung aus. Hans besucht drei verschiedene Händler-Websites die von völlig unterschiedlicher Güte und Qualität sind (siehe Tabelle). Nur bei einem Händler findet er einen Online-Shop, in dem der gewünschte Artikel bestellt werden kann. Den Händler kennt er persönlich nicht und ist deshalb unsicher, ob er bei einem unbekannten Händler einfach so online bestellen soll und kann.
Er könnte jetzt zum Händler fahren und mit 2G Regel und Maske persönlich vor Ort kaufen. Aber STOP: hat der Händler die Ware überhaupt vor Ort um diese anzusehen? Hans will nicht so viel Zeit verlieren und so schafft ein Anruf Klarheit: die Ware ist leider nicht vor Ort.
Das wird Hans jetzt zu kompliziert: Er steigt an diesem Punkt aus der Journey aus.
Er entscheidet sich einen Tag später bei einem Händler, den er kennt, anzurufen – und dieser kann Hans tatsächlich die gewünschten Waren von Hersteller B bestellen, obwohl er nicht im Herstellerverzeichnis von Hersteller B gelistet ist. Der Händler informiert Hans noch, dass es bei dem Hersteller gerade eine Aktion für das Produkt gibt und er dadurch 10 % Rabatt gewähren kann. Der Händler nennt Hans auch die ungefähre Lieferzeit und bietet an, die Ware persönlich zu liefern und zu montieren. Alles Informationen über die unsere Persona sich freut, die online aber vollständig gefehlt haben und nur durch mündliche Absprache zustande kamen.
Hans ist zufrieden, aber durch die vielen fehlenden Infos und Medienbrüche war es keine einfache Kundenreise.
4. Nachbetreuungs-Phase:
Für Kunde, Hersteller und Händler ist jetzt etwas Schönes passiert: Alle drei haben es geschafft ihr Ziel der Journey zu erreichen. Der Kauf ist geglückt – wenn auch auf Umwegen und nach Kommunikations- und Medienbrüchen.
Aus Kundensicht ist Herr Hans Moser erst einmal zufrieden und am Ziel. In seiner digitalen Welt würde Hans es jetzt freuen, regelmässig über den Lieferstatus seiner Garderobe per Mail oder SMS oder WhatsApp informiert zu werden. Vom Händler wünscht er sich einen Anruf zur Terminabstimmung.
Beim Kauf hätte Hans gerne seine Zustimmung zu weiteren Marketing-Aktivitäten des Händlers gegeben, um Empfehlungen zu Produkten, passende weitere Artikel, Pflegetipps, Aktionen, etc. zu bekommen.
Leider haben weder Hersteller noch Händler diese Wünsche genutzt, um sich eine Marketing-Permission von unserer Persona zu holen und diese weiter zu betreuen. So liegt das Ausschöpfen von weiteren Kundenpotenzialen bei Hans Moser leider brach.
Fazit:
In unserem Beratungsprojekt kam auf allen Seiten bei Herstellern, Händlern und bei mir, zum Teil großes Staunen auf, wie viel Potenzial hier noch zu erschließen ist.
Es beginnt bei der Sichtbarkeit von Händler und Hersteller, der direkten Auffindbarkeit der Webseiten von Herstellen und Produkten im Dschungel der Angebote auf den Suchmaschinen. Es geht darum den Kunden zum Produkt zu führen, für das Produkt zu begeistern (z.B. Video, Augmented Reality) und den Einstieg in den Kaufprozess zu ermöglichen.
Ist der Kunde erst einmal beim passenden Produkt angekommen, sollte dieser sicher durch den Kaufprozess begleitet werden. Dabei sollten sich Hersteller und Händler die Features von den großen E-Commerce Lösungen anschauen und sich nicht mit weniger als dem aktuellen Benchmark zufrieden geben. Dazu muss nicht alles neu erfunden werden: Viele Lösungen gibt es gut von der Stange, man muss sie nur kennen und clever einsetzen (z.B. Open Source).
Über den Link zum eigenen Shop oder zum Fachhändler können Verkauf und Service für den Kunden komfortabel abgewickelt werden. Im Kaufprozess sollten Hersteller und Fachhändler gemeinsam eine transparente Strategie verfolgen, um gemeinsam eine Win-Win Situation durch optimale Kundenbetreuung zu erreichen.
Gerade beim von COVID gebeutelten Handel ist noch so vieles möglich: Oft fehlt es schon an einem guten Internetauftritt, einem Customer Relation Management (CRM) oder der Möglichkeit, per Video oder Messenger zu kommunizieren. Potenzial liegt auch auch in der guten, personalisierten und individualisierten Kunden-Nachbetreuung (z.B. via Newsletter). Automatisiert sind solche Services auch mit wenig Personal zu stemmen: Hierfür gibt es ebenfalls Lösungen „von der Stange“ oder für den schmaleren Geldbeutel.
Ich würde mir wünschen, dass wir gerade mit den sinnvollen und auch im Trend liegenden Themen wie Nachhaltigkeit, nachhaltige Fertigung in Deutschland oder Europa, Besinnung auf Innovation, Langlebigkeit und Qualität etwas aus unseren Chancen im Möbelmarkt machen. Umsatzpotenziale erschliessen, den deutschen Handel in aktuelle Zeit heben, autark und mutig, mit neuen Ideen und Konzepten. Traut euch, Hersteller und Händler: Wenn die aktuelle Krise nicht die beste Zeit für eine Weiterentwicklung ist, wann dann?
Die Chancen für Ihr Unternehmen sind greifbar nah – besonders online. Nutzen Sie sie!